Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

2.2.05

Verwaltungsreform

Das "Amtsblatt für Berlin" dokumentiert in seiner Ausgabe vom 24.12.2004 (sozusagen der Weihnachtsedition) die "Allgemeine Verfügung über die Verwendung von Gerichtskassenstemplern bei den Gerichtszahlstellen des Landes Berlin". Diese füllt etwas mehr als zwei engbedruckte Seiten und schützt das Land Berlin und seine Justiz vor unangenehmen Überraschungen im Umgang mit solch potentiell gefährlichem und missbrauchträchtigem Gerät.

Was es zu regeln gilt, macht die Präambel(!) der zum 1. Januar in Kraft getretenen Verfügung deutlich: "Als Ersatz für den Justizkostenmarkenverkauf kommen in den Gerichtszahlstellen bundesweit zugelassene mechanische Gerichtskassenstempler der Firma Francotyp-Postalia AG & Co. KG zum Einsatz." Es geht also um den bereits seit einiger Zeit vollzogenen Ersatz von Steinzeit- durch Bronzezeittechnik. Geregelt in diesem Fall in 12 Abschnitten mit 56 Unterabschnitten, die ein fein austariertes Netz präzis ineinandergreifender Einzelregelungen zu allen denkbaren Wechselfällen des Zusammenlebens mit einem Gerichtskassenstempler ausbreiten.

Offenbar zur Abmilderung des Phantomschmerzes nach Wegfall des bisherigen quasi-philatelistischen Markenverkaufs wird dem Personal weiterhin verdeutlicht, dass so ein Stempel-Abdruck aus der Frankiermaschine doch letztlich nichts groß Anderes ist als das liebgewonnene gummierte Papierstückchen, das sie jahrhundertelang einzuspeicheln und auf gerichtlichen Unterlagen zu fixieren pflegten. Schon Abschnitt vier macht mit seiner Überschrift deutlich, dass die Justizkassenfachkräfte auch künftig als Händler auftreten ("Verkauf der Abdrucke von Gerichtskassenstemplern") und über ihre Transaktionen per Hand Belege ausstellen dürfen: "Käufern von Gerichtskassenstemplerabdrucken ist auf Verlangen ein Beleg über den Kauf unter Verwendung zugelassener Schreibmittel (Nummer 2.3 AV § 70 LHO) auszustellen, der ausschließlich folgende Angaben enthält:" - es folgen vier Unterabschnitte, Quittungen sind noch einmal extra geregelt. Beruhigend für Markenfans sind aber vor allem die Abschnitte 3.2 und 5.3 - die festlegen, was zu tun ist, wo der Stempler nicht hinkommt: "Sofern es aus technischen Gründen nicht möglich ist, auf das eingereichte Schriftstück einen Abdruck des Gerichtskassenstemplers zu setzen, sind die durch den Hersteller des Gerichtskassenstemplers gelieferten fälschungs- und ablösungssicheren Klebeetiketten mit einem Gerichtskassenstemplerabdruck zu versehen und gemäß Nummer 5.1 bzw. 5.2 auf dem Schriftstück anzubringen." Es wird alles gut - im Zweifel darf weitergeklebt werden, mit selbstgedruckten Marken!

Das ist fein, und auch ansonsten ist gegen Langeweile in der Zahlstelle vorgesorgt. Natürlich verfügen die Geräte nicht über Teufelszeug wie Computer-Schnittstellen in irgendeine (bei Gott!) elektronische Buchhaltung. Nönö, da schreibt man besser alles auf. Weshalb die Anlage 1 der Verfügung ein Formular ist, in das jeder einzelne Gerichtskassenstemplerabdruckverkauf einzutragen ist. Es hat acht Spalten, in die man unter anderem das Datum, den Stand des Summenkontrollzählers am Gerät, den Bargeldbestand vor und nach der Buchung, den Betrag des Abdrucks und den/die Einzahler/in zu vermerken hat. Und wenn am Ende eines aufregenden Tages alles aufgeschrieben und mit der Hand oder der Rechenmaschine zusammengezählt ist, dann darf es jemand in den Computer tippen (Abschnitt 6.2.).

Umfangreiche Ausführungen stellen sicher, dass auch Fehlabdrucke des Gerichtskassenstemplers (7 Unterabschnitte) Stornobuchungen (2) sowie der Fall der Außerbetriebnahme zu Zwecken der Reparatur und Wartung (2) ausreichend geregelt sind. Abschnitt 10 "Sicherung des Gerichtskassenstemplers" verdeutlicht, wie Erst- und Zweitschlüssel des Sperrschlosses des Gerichtskassenstemplers nach Dienstschluss zu verwahren sind.

Damit müsste doch eigentlich alles... oder doch nicht? Was ist, wenn der Gerichtskassenstemplerbediener mal... über den Flur muss? "Verlässt der Zahlstellenverwalter während der Geschäftsstunden vorübergehend seinen Arbeitsplatz, hat er durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass eine missbräuchliche Benutzung des Gerichtskostenstemplers ausgeschlossen ist." Wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Gerichtsfluren Mitarbeiter antreffen, die mit einem Gerichtskostenstempler unter dem Arm auf die Toilette gehen. Man kann ja nie wissen.