Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

12.12.04

"Das Schönste an Berlin ist...

... die Gewissheit, dass man gar nicht auffällt unter all den Wahnsinnigen." Mit diesen schlichten Worten ist viel gesagt über das Berlin-Gefühl von uns Neubürgern um die dreißig, die wir in den letzten Jahren in die Stadt gezogen sind und bis heute mehr oder weniger fremdeln: hin und her gerissen zwischen der Faszination, die uns einmal hergelockt hat, und fatalistisch-zynischer Resignation angesichts der real existierenden Verhältnisse. Gewisse Dinge hatte man anfangs mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen, für liebenswerte Schrullen gehalten, für Reste alter West- wie Ostberliner Inselmentalitäten, die sich rasch erledigen würden: Den gewissen Mangel an Kultur, Niveau, liberalem Geist und Intellektualität, die bis weit in die 'besseren Kreise' hinein verbreitete Anspruchsmentalität, den Hang zur Hysterie in der öffentlichen Diskussion über die Stadt und ihre Belange, die irgendwie gestrige Wurschtigkeit, mit der viele Bewohner ihrem Alltag, ihrer Arbeit und anderen Menschen gegenübertreten. Inzwischen ist klar: all dies sind keine temporären Phänomene, es sind Grundbestandteile der Berliner Seelenlage.

Geschrieben hat den oben zitierten Satz Constanze von Bullion in der aktuellen Wochenendbeilage der SZ - als Kommentar zur ebenso dämlichen wie typischen Diskussion um die am Checkpoint Charlie großflächig in die Landschaft genagelten "Gedenkkreuze". Constanze von Bullion gehört zu denjenigen Journalisten, die zu Zeiten der Hauptstadtwerdung einmal angetreten waren, für uns zugezogene Jungakademiker, Medienmenschen und Bundestagsangestellten ein passendes publizistisches Angebot zu machen: uns einerseits diese Stadt zu erklären und nahezubringen, andererseits unseren Gefühlen, Verständnisproblemen und überheblichen Reflexen (alle so dumm hier, s.o.) Raum zu geben. Sowohl die 'Berliner Seiten' der F.A.Z. als auch die Berlin-Seite der SZ sind, leider, Geschichte. Die Autorinnen und Autoren mitsamt ihrer Mission überwintern in verschiedenen Nischen - zum Beispiel in der SZ-Wochenendbeilage, dem jetzt heimlichen Zentralorgan der Neuberliner. Ihr Versuch der gruppentherapeutischen Vermittlung zwischen alt und neu ist heute ein extremes Minderheitenprogramm, weil die meisten diesen Versuch erst einmal abgeschrieben haben.

Ich behaupte: mindestens 80% derjenigen Neubürger, die in und um die Bundespolitik herum tätig sind (oder bei Universal Music arbeiten oder für eine bundesweit tätige Werbeagentur) interessieren sich nicht die Bohne für die öffentlichen Angelegenheiten des Stadtstaates Berlin. Sie lesen keine Lokalteile und nehmen höchstens die Ereignisse wahr, die richtig dicke Schlagzeilen machen. Eine Ausnahme ist Verkehr: Gemeinsam mit den Ureinwohnern kann sich auch der Neuberliner trefflich erregen, wenn eine Baustelle seinen Weg zur Arbeit stört, die BVG mit uns Ersatzverkehr spielt oder der Radweg falsch gepflastert wird. Eine weitere Ausnahme werden allmählich auch Bildungsthemen: Zumindest für einen Teil der Neuhauptstädter wird es aus Gründen der privaten Biografie zu einer relevanten Frage, welche Qualität die Kitas im Prenzlauer Berg bieten.

Was macht das? Wenig, denn es ist ein Stück Normalisierung. Die Berliner müssen eben weiter selbst ihren finanzpolitischen Schutthaufen aufräumen und ihre Verhältnisse ordnen. Die Hauptstadtdarsteller beobachten das aus ihrer sicheren Blase heraus mit skeptischem Desinteresse und debattieren allenfalls die Gestaltung des von ihnen weitgehend in Besitz genommenen Hauptstadtkulissenberlin (Museumsinsel, Kanzleramt, Palast der Republik). Die Vermischung, die als gewollter Akt nicht funktioniert hat (man betrachte z.B. einmal in den Parteien das Verhältnis zwischen der bundespolitischen Ebene und dem jeweiligen Berliner Sprengel), kommt dann vielleicht mit der Zeit. Wenn die ganz große Frage des Umgangs mit dem Schuldenberg der 90er Jahre demnächst Karlsruher Verfassungsrichter beschäftigt, wird die jungneuberliner Elite das Ergebnis achselzuckend zur Kenntnis nehmen: Wahlweise "Berlin ist doch eh' pleite, was soll's" oder "jetzt kriegen die's auch noch in den Hintern geschoben - na mir soll's recht sein, wenn endlich die Bürgersteige richtig gepflastert werden". Und damit werden sie den schönsten Beweis dafür liefern, dass sie mentalitätsmäßig eben doch ein wenig heimisch geworden sind.

Einstweilen ist es schön, dass die SZ-Wochenendbeilage sich zumindest manchmal die Mühe macht, das nachzuholen, was die regionale Publizistik versäumt. Zum Beispiel scheint niemandem aufgestoßen zu sein, dass sich das Team des FC Deutschland e.V. für die WM 2006 ausgerechnet ein bizarres Plüsch-Schlößchen im Grunewald als Hauptquartier ausgewählt hat. Das Ambiente dort passt so überhaupt nicht zu den Themen Leistungssport, Dynamik, Modernität und Aufbruch, dass man, wäre nicht der DFB eine gänzlich ironiefreie Zone, darin einen monströsen Scherz vermuten müsste (wie schon beim WM-Logo). Die wahrscheinlichste Variante, wie es zu dieser Entscheidung kommen konnte, berichtet uns Marcus Jauer: "'Erinnert mich an einen Puff in Stuttgart', sagte Mayer-Vorfelder, als er vor einem mit Samt bezogenen Kingsize-Bett stand. Klinsmann sagte nur: 'Nehmen wir.'"