Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

14.1.05

Vorwärts, und nicht vergessen

Das Reformieren und Konsolidieren hat keinen Neuigkeitswert mehr, Hartz IV-Chaos und Protestwelle sind ausgeblieben. Und den Journalisten wird langweilig. Jedenfalls kramen sie in diesen Tagen in einer verstaubten Ecke und holen altes Spielzeug hervor, mit dem man sich doch früher immer so hübsch die Zeit vertrieben hatte.

So testen heute, 15 Jahre und gut zwei Monate nach dem Mauerfall, die Milieu-Blättchen B.Z. und Neues Deutschland die Mobilisierbarkeit des Ost-West bzw. West-Ost-Ressentiments. Bierernst, versteht sich, und daher mit realsatirischem Spaßfaktor. Die B.Z. entdeckt in der (legitimen) Diskussion um das Für und Wider eines weiteren Gedenkorts für Rosa Luxemburg einen prima Anlass zur Einnahme des Westberliner Schützengrabens und erblickt in den Plänen einen "Kniefall vor der PDS". Nicht ohne ein paar Seiten weiter zum (gefühlten) 124. Mal in diesen Wochen die Speerspitze der Freiheit zu featuren: Gedenkprofi Alexandra Hildebrandt in ihrem unermüdlichen und tapferen Kampf für den Erhalt ihres sogenannten Mahnmals am Checkpoint Charlie. Gegen die bösen, bösen Eigentümer, die sich anmaßen, keinen schneeweißen Mauernachbau und kein Feld riesiger schwarzer Holzkreuze auf ihrem Grundstück haben zu wollen.

Aber auch die Gestrigen der anderen Stadthälfte suhlen sich heute in Wohlgefühl durch Abgrenzung. Ansonsten jeder Sympathie für die FDP unverdächtig, bringt das Neue Deutschland deren Behauptung ganz groß(nur Printausgabe), der asbestverseuchte 'Steglitzer Kreisel' lasse sich unter ökonomischen Gesichtspunkten eigentlich nur noch abreißen. (Wer, wie ich, Anfang der 70er Jahre noch das Laufen lernte, kann alles über den dazugehörigen bizarren Westberliner Bauskandal in einem ganz wunderbaren Text von Holger Schmale nachlesen. Lohnt sich!)

Jedenfalls freut sich die Ost-Seele mit der FDP und kommentiert unter der Überschrift 'Abrissbirne' genüsslich, dass man selbige doch auch gleich gegen weitere "Heiligtümer" der "Frontstadt Westberlin" schwingen solle: den Flughafen Tempelhof (der damit so janz en passant mal eben zur 'West'-Erfindung umgefälscht wird) und das ICC, jenes Kongresszentrum, das "der westliche Stadtteil mitten im blühenden Fronstadtbetrieb" hingeklotzt habe. Der Osten fordert: Wenn ihr den Palast abreisst, sprengen wir das ICC. Kommen Abrisskommandos eigentlich im Dutzend billiger? Ich hätte da noch einige Vorschläge in beiden Stadthälften...

Den Preis des Tages gewinnt aber die PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus für ein ganz besonders liebevoll ausgearbeitetes textliches Kleinod, ein feines, nur vier Sätze langes Gedenkzeichen für die beruhigende, nervenschonende und einschlaffördernde Nachrichtensprache der Aktuellen Kamera. Hier der Originaltext (laut zu lesen, mit leichtem Ernst, mittlerer Lautstärke, gleichmäßiger Geschwindigkeit und kaum merklicher sächsischer Sprachfärbung):

"Berliner PDS-Politiker in Moskau für Vertiefung der Städtebeziehung
Berlin/Moskau, 14. Januar 2005.

Führende Berliner PDS-Politiker haben sich in Moskau für die Vertiefung der Städtebeziehung zwischen den beiden Hauptstädten ausgesprochen.

Die Delegation, der unter anderem die Bundestagsabgeordnete Petra Pau, die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, Martina Michels, die Stellvertretende Landesvorsitzende, Annegret Gabelin, sowie Bezirksstadträte und Mitglieder der Fraktion angehören, unterstrich in Gesprächen mit dem stellvertretenden Oberbürgermeister von Moskau, W. P. Schantzew, und dem Vorsitzenden der Moskauer Stadtduma, Wladimir W. Platonow, ihr Anliegen, in diesem Jahr den 60. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus auch in Berlin würdig zu begehen. Überlegungen der PDS-Fraktion und des kommunalpolitischen Forums für ein „Fest des Friedens“ zum 8. Mai fanden bei den Moskauer Städtepartnern Zustimmung.

Fortgesetzt wurde während des dreitägigen Besuchs in Moskau auch der Dialog im Interesse der Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen Berlins mit Osteuropa und der Russischen Föderation."

Ich fürchte: So zu schreiben, das lernt ein Kind des Westens einfach nicht mehr.