Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

14.12.04

Zitier' mich, oder ich fress' Dich

Es gibt Journalisten, die inzwischen einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit für eine besondere Form des Marketings für ihre Zeitung/Welle/Agentur verwenden (müssen): Das Generieren von Zitaten. Es genügt kaum einem Medium mehr, einfach einen interessanten Artikel, eine echte Neuigkeit, eine exklusive Recherche oder ein relevantes Interview zu haben und dann die Wirkung gelassen abzuwarten: darauf zu setzen, dass die Nachricht auch anderen Medien auffällt und diese sie fairerweise dann nicht einfach klauen, sondern mit Angabe der Quelle zitieren. Nein, um das Zitat wird längst mit allen Mitteln gekämpft, ohne Rücksicht auf Verluste und Kollateralschäden bei Redlichkeit und journalistischer Qualität.

Die Auswüchse, die dieser Kampf um Erwähnung täglich produziert, sind häufig haarsträubend, manchmal traurig, und sehr oft unfreiwillig komisch. Allein ich persönlich in meinem unmittelbaren Radius als Pressesprecher habe in den letzten Wochen mehrfach erlebt, dass Informationen oder Statements, die ich gleichzeitig oder kurz hintereinander in identischer Form mehreren oder gar allen Kollegen übermittelt habe, von mindestens einer Zeitung anschließend als "exklusive Vorabmeldung" an die Nachrichtenagenturen gegeben wurden - in der Hoffnung, dass irgendjemand schon darauf hereinfallen würde. Mit Erfolg. Grundregel dabei: Je Wochenende desto Durchlauferhitzer.

Man könnte meinen, solcherlei beliebige Zitierung eines Mediums sei im Vergleich zur Berichterstattung über tatsächlich relevante Exklusivrecherchen (SPIEGEL deckt auf: Bundesminister bestochen) oder echte Neuigkeiten (Joschka Fischer im Deutschlandradio: Ich habe keine Lust mehr) ungefähr so wichtig wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt. Das ist auch so. Aber das interessiert keinen.

Wie in der Jungs-Dusche beim Schulsport gilt beim Relevanzvergleich der Medien untereinander nur die Frage: Wer hat den längsten? Und zwar den längsten Balken in den sich heuschreckenplagenartig verbreitenden Zitate-Rankings, die so exakt wie banal durchzählen, welches Medium wie oft in anderen Medien erwähnt wird. Diese Rankings, wie etwa der "Medien-Tenor", bedienen in perfekter Weise sowohl den Narzissmus der Chefredakteure ("wie bedeutend sind wir?") wie auch die Sehnsüchte der Verleger nach Argumenten für den Verkauf von Anzeigenraum ("sechstmeist zitierte Tageszeitung nördlich des Mains"). Die pfiffigen Beratungsunternehmen überschwemmen die Branche flächendeckend mit ihren Hitlisten, so dass diese allein schon durch ihre Omnipräsenz eine Bedeutung erlangen, die von ihrer Qualität und Relevanz her nicht im Ansatz gerechtfertigt wäre. Und sie verkaufen gerne auch noch ihre Dienstleistungen dazu ("erfahren Sie noch genauer, wie bedeutend Sie sind" bzw. "wie Sie ganz einfach bedeutender werden").

Um den Kriterien der selbsternannten Relevanzschiedsrichter zu genügen, beschäftigen die Blätter und Sender Menschen damit, aus der täglichen journalistischen Produktion auf Teufel komm' raus Pseudonachrichten zu kreieren und herauszublasen, die das eigene Medium als Quelle tragen. Mit der Masse steigen die Abwehr-Reflexe, unter denen dann auch die tatsächlichen Exklusivgeschichten zu leiden haben. Kürzlich wusste die Berliner Zeitung durch irgendeinen guten Kontakt eine durchaus interessante Nachricht aus der Landespolitik tatsächlich vor allen anderen. Weil ihr aber niemand gönnte, was diesmal in der Tat gerechtfertigt gewesen wäre - eine Meldung unter Angabe der Quelle - setzte hektisches Telefonieren ein: "Können Sie mir bestätigen, dass...... ich will das nicht unter Berufung auf die Berliner Zeitung melden."

Der Verein Berliner Journalisten streifte das Thema kürzlich bei einer interessanten Podiumsdiskussion. Mit diesbezüglicher Kritik konfrontiert, bezeichnete dort Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt den allgegenwärtigen Zitierwahn, als das, was er ist: als einen Irrsinn. Schön wäre es, wenn diese Erkenntnis a) sich verbreiten würde und b) Konsequenzen hätte. Es wäre darüber zu reden, dass Medien ihre eigene Bedeutung nur dadurch nachhaltig stärken, dass sie Geld und Geist in journalistische Qualitätsarbeit investieren: indem sie ihren Mitarbeitern die Rahmenbedingungen für gute Recherche, für kontinuierliches Verfolgen von Themen, für sorgfältige Kontaktpflege und qualifizierte Meinungsbildung geben. Wer das nicht hören will, der ist vielleicht offen für eine andere Erkenntnis: wenn sich der eigene 'gute Name' allzu oft mit Pseudo-Exklusivgeschichten oder mühsam aufgeblasenen Nicht-Nachrichten verbindet, dann leiden langfristig jene Assets, die - im Gegensatz zum Platz im Ranking - für ein Medium wirklich unverzichtbar sind: Ansehen, Reputation und Glaubwürdigkeit. Von B.Z. bis F.A.Z. gilt: Eine Zeitung kann einpacken, wenn ihre Leser ihr nicht mehr glauben.