Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

21.2.05

Kurzkritik: Tagesthemen

Das Schöne an Uli Wickert ist: Sein Ausdruck behält kein Geheimnis für sich. Wenn er emotional wirklich dabei ist, reicht ein tiefer Blick - und die Republik weiß, was er denkt. Gestern, Wahlabend, Tagesthemen extra um Mitternacht: Rot-grün in Schleswig-Holstein liegt doch noch vorn, der dicke, peinliche Verlobte hat sich zu früh gefreut. Wickert grinst zur Begrüßung wie ein gerade angeknipster fröhlicher Lampion. Heute, Tagesthemen, immer noch gute Laune. Bis der Kommentar kommt. Von einem tiefschwarzen NDR-Kollegen. Simonis: Zwölf Jahre versagt, Schleswig-Holstein am Boden, abtreten, große Koalition, aber zackig. Kommentar zu Ende, Wickert: Mundwinkel am Boden. Blick in die Kamera, als habe er soeben in seinem Küchenschrank einen Schale fauler, verschimmelnder Tomaten entdeckt. Abmoderation mit dem stimmlichen Äquivalent ganz spitzer Finger in Gummi-, nein Asbesthandschuhen: 'Ein Kommentar von...'. Ein Hoch auf den ARD-Kommentar mit seinem sorgsam ausgewürfelten Polit- und Anstaltenproporz. Ohne ihn harrten wir solcher Fernsehmomente vergebens.

20.2.05

Könnten nicht alle...

... wir hippen, mehr oder weniger gutverdienenden jungen Menschen, die Berlins Mitte und den Prenzlauer Berg bevölkern, mal ein bisserl Knete locker machen? Eine der schönsten Kirchen Berlins (von August Orth) auf einem der schönsten Plätze der Stadt ist von außen weitgehend saniert - während der Innenraum vor sich hin verfällt. Die Gemeinde und der Förderverein sorgen dafür, dass im Sommer dort viel los ist - im Winter scheitert das schon daran, dass es keine Heizung gibt. Die Fenster, der Putz, alles braucht dringend Instandsetzung. Also: Sonntags mal hingehen, anschauen und Geld in die Spendenbox werfen. Oder gleich dem Förderverein beitreten (ab 1€/Monat).

3.2.05

Wahrheit des Tages: Holzmann-Komplex

Uwe Jean Heuser in der "ZEIT": "Würden die Deutschen bloß halb so viel für neue Jobs tun wie zur Rettung von alten, gäbe es keine fünf Millionen Arbeitslose. Doch der Öffentlichkeit hat es meistens gereicht, dass alles sozialverträglich zugeht. Sollten die Konzerne doch Stellen abbauen - solange sie dabei niemandem kündigten, war alles in Ordnung." (Der ganze Text.)

Wobei die Causa Walter Bau zeigt, dass immerhin schon eine Seite dieses Holzmann-Komplexes nicht mehr funktioniert wie früher: eine staatliche Rettungsaktion für den angeschlagenen Konzern, teuer und mit fraglichen Erfolgsaussichten, ist ausgeblieben. In Berlin hat sich dieser Kurs schon einmal bewährt, bei der Herlitz-Pleite. Keine staatliche Hilfe - Insolvenz - erfolgreiche Sanierung. Eine Staatsbürgschaft hätte das Problem nur verschleppt und die notwendigen Einschnitte verhindert, die es brauchte, um das Unternehmen wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Die andere Seite des Komplexes ist sehr viel schwieriger zu überwinden: Wie man das Entstehen neuer Arbeitsplätze erleichtert, dazu gibt es bisher mehr kluge Überlegungen als praktisch umgesetzte Konzepte.

2.2.05

Verwaltungsreform

Das "Amtsblatt für Berlin" dokumentiert in seiner Ausgabe vom 24.12.2004 (sozusagen der Weihnachtsedition) die "Allgemeine Verfügung über die Verwendung von Gerichtskassenstemplern bei den Gerichtszahlstellen des Landes Berlin". Diese füllt etwas mehr als zwei engbedruckte Seiten und schützt das Land Berlin und seine Justiz vor unangenehmen Überraschungen im Umgang mit solch potentiell gefährlichem und missbrauchträchtigem Gerät.

Was es zu regeln gilt, macht die Präambel(!) der zum 1. Januar in Kraft getretenen Verfügung deutlich: "Als Ersatz für den Justizkostenmarkenverkauf kommen in den Gerichtszahlstellen bundesweit zugelassene mechanische Gerichtskassenstempler der Firma Francotyp-Postalia AG & Co. KG zum Einsatz." Es geht also um den bereits seit einiger Zeit vollzogenen Ersatz von Steinzeit- durch Bronzezeittechnik. Geregelt in diesem Fall in 12 Abschnitten mit 56 Unterabschnitten, die ein fein austariertes Netz präzis ineinandergreifender Einzelregelungen zu allen denkbaren Wechselfällen des Zusammenlebens mit einem Gerichtskassenstempler ausbreiten.

Offenbar zur Abmilderung des Phantomschmerzes nach Wegfall des bisherigen quasi-philatelistischen Markenverkaufs wird dem Personal weiterhin verdeutlicht, dass so ein Stempel-Abdruck aus der Frankiermaschine doch letztlich nichts groß Anderes ist als das liebgewonnene gummierte Papierstückchen, das sie jahrhundertelang einzuspeicheln und auf gerichtlichen Unterlagen zu fixieren pflegten. Schon Abschnitt vier macht mit seiner Überschrift deutlich, dass die Justizkassenfachkräfte auch künftig als Händler auftreten ("Verkauf der Abdrucke von Gerichtskassenstemplern") und über ihre Transaktionen per Hand Belege ausstellen dürfen: "Käufern von Gerichtskassenstemplerabdrucken ist auf Verlangen ein Beleg über den Kauf unter Verwendung zugelassener Schreibmittel (Nummer 2.3 AV § 70 LHO) auszustellen, der ausschließlich folgende Angaben enthält:" - es folgen vier Unterabschnitte, Quittungen sind noch einmal extra geregelt. Beruhigend für Markenfans sind aber vor allem die Abschnitte 3.2 und 5.3 - die festlegen, was zu tun ist, wo der Stempler nicht hinkommt: "Sofern es aus technischen Gründen nicht möglich ist, auf das eingereichte Schriftstück einen Abdruck des Gerichtskassenstemplers zu setzen, sind die durch den Hersteller des Gerichtskassenstemplers gelieferten fälschungs- und ablösungssicheren Klebeetiketten mit einem Gerichtskassenstemplerabdruck zu versehen und gemäß Nummer 5.1 bzw. 5.2 auf dem Schriftstück anzubringen." Es wird alles gut - im Zweifel darf weitergeklebt werden, mit selbstgedruckten Marken!

Das ist fein, und auch ansonsten ist gegen Langeweile in der Zahlstelle vorgesorgt. Natürlich verfügen die Geräte nicht über Teufelszeug wie Computer-Schnittstellen in irgendeine (bei Gott!) elektronische Buchhaltung. Nönö, da schreibt man besser alles auf. Weshalb die Anlage 1 der Verfügung ein Formular ist, in das jeder einzelne Gerichtskassenstemplerabdruckverkauf einzutragen ist. Es hat acht Spalten, in die man unter anderem das Datum, den Stand des Summenkontrollzählers am Gerät, den Bargeldbestand vor und nach der Buchung, den Betrag des Abdrucks und den/die Einzahler/in zu vermerken hat. Und wenn am Ende eines aufregenden Tages alles aufgeschrieben und mit der Hand oder der Rechenmaschine zusammengezählt ist, dann darf es jemand in den Computer tippen (Abschnitt 6.2.).

Umfangreiche Ausführungen stellen sicher, dass auch Fehlabdrucke des Gerichtskassenstemplers (7 Unterabschnitte) Stornobuchungen (2) sowie der Fall der Außerbetriebnahme zu Zwecken der Reparatur und Wartung (2) ausreichend geregelt sind. Abschnitt 10 "Sicherung des Gerichtskassenstemplers" verdeutlicht, wie Erst- und Zweitschlüssel des Sperrschlosses des Gerichtskassenstemplers nach Dienstschluss zu verwahren sind.

Damit müsste doch eigentlich alles... oder doch nicht? Was ist, wenn der Gerichtskassenstemplerbediener mal... über den Flur muss? "Verlässt der Zahlstellenverwalter während der Geschäftsstunden vorübergehend seinen Arbeitsplatz, hat er durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass eine missbräuchliche Benutzung des Gerichtskostenstemplers ausgeschlossen ist." Wundern Sie sich nicht, wenn Sie auf Gerichtsfluren Mitarbeiter antreffen, die mit einem Gerichtskostenstempler unter dem Arm auf die Toilette gehen. Man kann ja nie wissen.