Neuer Anlauf - Restart - zweiter Versuch: Öffentliche und private Angelegenheiten aus der Hauptstadt. Seelenlage, Medienlage, Haushaltslage. Fundsachen, Anmerkungen,Assoziationen. Alle geäußerten Meinungen sind die privaten des Autors. Diskussionsbeiträge willkommen: Klick auf 'comments' unten rechts an jedem Beitrag.

4.11.06

Verzweiflung, Not und Schrecken

Ja, es stimmt, es ist nicht schön: Berlin hat seine Verfassungsklage auf Sanierungshilfen verloren. Und zwar kräftig und endgültig. So weit, so schlecht. Nun müssen wir hier selbst klarkommen, was die öffentlichen Finanzen der Hauptstadt angeht - und das ist keine ganz leichte Aufgabe.

Nun kann man in den letzten zwei Wochen seit Bekanntwerden dieser Nachricht allerlei Reaktionen darauf besichtigen, darunter leider Gottes nicht wenige, die einen ernsthaft daran zweifeln lassen, dass wir Berliner mental schon in der rechten Verfassung sind, mit dieser Verantwortung für unsere eigenen Belange nun auch umzugehen. Stellvertretend für Viele sei hier als schlechtes Beispiel die Schrifstellerin Gerlinde Unverzagt genannt, die ihrem Namen leider so gar keine Ehre machte, als sie ihre Worte zum Thema für die Berliner Zeitung niederschrieb.

Ich fasse kurz zusammen: Wegen des Karlsruher Urteils und der daraufhin vom Senat beschlossenen Erhöhung der Grundsteuer haben die Kinder von Frau Unverzagt jetzt Angst, dass die Familie aus der Wohnung ausziehen muss. Außerdem können sie jetzt wohl nicht mehr studieren, da ja immerhin nicht auszuschließen ist, dass nunmehr auch Berlin Studiengebühren beschließt. Diese Angst nimmt die Mutter ihren Kindern nun nicht etwa - sondern bestätigt sie darin und verbindet dies mit kräftigem Schimpfen auf den "Egoismus der reichen Länder".

Man wäre spontan geneigt, solch Blödsinn einfach kopfschüttelnd ad acta zu legen - aber Frau Unverzagt ist spätestens seit ihrem viel beachteten Lehrerhasserbuch eine durchaus meinungsbildende Figur in der Stadt und ihre Haltung eben leider nicht untypisch.

Wenn die Familie der Autorin nicht gerade auf 300 Quadratmetern lebt, dann dürfte sich die Grundsteuererhöhung bei ihr mit einem Betrag von sagen wir fünf bis sechs Euro im Monat bemerkbar machen. Wie meckerte doch das Doppelverdiener-Pärchen aus Wilmersdorf kürzlich so treffend in der BILD? "Skandal, das ist ein Kinobesuch weniger!"

Liebe Kinder von Frau Unverzagt, keine Angst. Weder müsst Ihr aus der Wohnung, noch solltet Ihr Euch von Eurer Mutter einreden lassen, Eure Chance auf ein Studium sei jetzt im Eimer. Wenn sie nicht ehrlich mit Euch rechnen mag, dann tun wir's hier doch mal. Taschenrechner ausgepackt, Kosten eines Studiums ohne Gebühren: 14 Semester bei Lebenshaltungskosten von 700 Euro im Monat macht knapp 60.000 Euro. Plus (niedrig angesetzt) 100.000 Euro Einbußen dadurch, dass das Geldverdienen später beginnt. Wenn dazu Studiengebühren von 500 Euro pro Semester kommen sollten, würden es 7.000 Euro mehr - oder rund 4 %. Sollten Studiengebühren dazu beitragen, dass Ihr Euer Studium in vier Semestern weniger durchzieht, wäre es unter dem Strich erheblich billiger. Anyway: Wenn Ihr mit einer kleinen regelmäßigen Unterstützung Eurer Eltern und/oder Bafög und etwas Jobben kalkuliert, dann könnt Ihr das schaffen, ob mit oder ohne Gebühren. Und weil Euch nichts für später so gute Verdienstchancen sichert wie ein Uni-Absschluss, ist es auch kein Fehler, wenn Ihr das Studium zum Teil auf Kredit finanziert. Die Banken machen da inzwischen günstige Studenten-Angebote. Ach übrigens: Für besonders gute Leute gibt es Stipendien, es lohnt sich also, sich ins Zeug legen und zu den Besten zu gehören!

Vieleicht ist es ja das mitunter etwas trübe Berliner Verhältnis zu Leistung und Eigenverantwortung, das beiträgt zu jenem Gefühl, das Frau Unverzagt als "Egoismus" der "reichen Länder" empfindet. Dort maßt man es sich tatsächlich an, die über 7 Mrd. €, die Berlin jedes Jahr aus ihren Kassen, aus denen des Bundes und der EU erhält, für nicht ganz wenig zu halten. Vielleicht aus ihrer Sicht sogar für ausreichend. Oder gar für recht viel.